Nach dem grandiosen 5-Tage-Urlaub in Xanten im Juni 2024 war zunächst nichts weiteres in Sicht. Konnten wir uns zeitlich nicht erlauben, denn Corvey und das Erbe der Antike forderten unseren ganzen Einsatz. Doch halt ! 5 Tage, von denen 2 ein Wochenende und einer der Rückreisetag ist, dürften doch drinliegen ? Wir buchten die im Internet gefundene Strohburg in Krummhörn, Ostfriesland. Sie hob sich wohltuend von den gesichtslosen 1960er- bis 1990er Dachgeschoss-Wohnungen ab, von denen man an der niedersächsischen Nordseeküste reichlich findet. Die Strohburg ist ein adelig anmutendes Türmchen in Ziegelstein-Optik und hat zwei Vollgeschosse und ein pyramidenförmiges Dachgeschoss (welches wir nicht benutzten). Fast verfallen, wurde es von den Eigentümern mit viel Engagement und mit Hilfe von Fördergeldern zu einem Ferienhaus mit modernem Innenleben auf Höhe der Zeit umgebaut. Ausführung und Materialwahl sind wunderbar stilvoll und angemessen geraten, von den Sprossenfenstern über die Farbfindung bis zu den schwarzen Lichtschaltern aus Pseudo-Bakelit im Stil des frühen 20. Jahrhunderts. Der über die ganze Etage gehende Raum im Obergeschoss ist das Zentrum für den Aufenthalt. 6 Fenster mit 50 cm niedrigen Fensterbänken ermöglichen den Ausblick in 3 Richtungen, hauptsächlich jedoch nach Süden mit Weitsicht bis zu 3 Kilometern. Man erahnt Einzellheiten der Skyline der Metropole Pewsum. Viel Grün und eine schlossähnliche Gräfte umgeben das Anwesen in der Südkurve. Auf der Fensterbank stand das gleiche Radio/Streaming Interface, das wir zuhause haben, sogar eine Generation neuer. Insgesamt wirklich schön. Das perfekte Haus gibt es jedoch nicht, irgendwas fehlt oder stört immer. Der Turm datiert von 1819, kaum zu glauben, wir hätten auf letztes Viertel 18. Jahrhundert getippt. Der Bau liegt hinter Bäumen versteckt, man schaut auch hindurch, aber als Landmarke ist er von weitem nicht zu erkennen. Von Groothusen oder Pewsum lässt sich die Einzellage en direct nur zu Fuß oder per Fahrrad erreichen. Mit dem Auto muss man den Umweg auf einer rumpeligen Straße über Manslagt einlegen.
Die ländliche Ruhe tut gut. Trotz, bzw. besser wegen des unbeständigen, nassen Wetters. In knapp 1 Km Entfernung liegt der Landhandel Folkert (Slogan : Alles im grünen Bereich) mit Hallen, Silos und mindestens 7 eigenen Lastwagen, und so ein ausgewachsener Landhandel hat etwas Beruhigendes, Solides und Statisches an sich. Eben alles im grünen Bereich.
Samstag, 6. Juli 2024
Monika Tjaden, die Eigentümerin des großräumigen Anwesens – ein ehemaliger Bauernhof im ostfriesischen Stil – gab die Begrüßung und Führung durch das Ferienhaus. Danach starteten wir zu einer ersten Radtour Richtung Pewsum zum Einkaufen bei EDEKA Bruns & Ihler mit der Backfiliale Buchholz. Monika’s Tipp: Das gute Schwarzbrot ! Es war sonnig, aber stürmisch mit ca 5 Beaufort und böenweise noch mehr. Auf dem Rückweg hatten wir nicht aufgepasst und radelten in die falsche Richtung. Erst bei Eilsum kam es uns komisch vor und wir mussten uns den ganzen Weg zurück kämpfen. Mehrere Windbeweis-Videos entstanden zwischendurch, verbunden mit der Idee, diese mit dem Soundtrack Riders on the Storm zu unterlegen, gesungen und gespielt von den Doors bzw. Jim Morrison (z. Zt. Friedhof Pere Lachaise, Paris, zusammen mit Frédéric Chopin, Eugène Delacroix, Maria Callas etc.) Später entwickelte sich der Gedanke weiter : Die Szenen aus dem Musik-Video könnte man schauspielerisch nachstellen und reinschneiden. Aber das dauert noch, bitte nicht drauf warten. Zwar vermuteten wir eine (tatsächlich auch vorhandene) Weg-Abkürzung zur Strohburg, aber auf dem winzigen Handy-Display von Google Maps war die nicht sicher auszumachen. Google Maps ist zu blass gezeichnet und das Handy versagt sowieso im hellen Sonnenlicht. Später daheim schauten wir an unserem Fenster bei Tee und Kuchen gemütlich auf langanhaltende dramatische Regenbogen-Formationen. Mehrmals hoppelten ausgewachsene Hasen die Straße entlang. Aus unserer Gräfte stiegen aufgeschreckte Enten hoch, wenn wir uns näherten. Das Landleben erinnerte fast an unsere ehemaligen Rittergüter in Ostpreußen, damals, zwischen 1910 und 1933. Am Abend versuchten wir dann, den für 22 Uhr geplanten Sonnenuntergang beim Pilsumer Leuchtturm zu erleben, was aber schief ging. 1995 / 2005 war das gelbrote tonnenförmige Wahrzeichen noch problemlos erreichbar. Seinerzeit hatten wir dort eine handliche verrostete Stahlplatte gefunden, als Kunstwerk deklariert und mitgenommen. Heute waren die Zuwege von Südosten selbstverständlich abgeriegelt, man gelangt ohne örtliche Kenntnisse kaum dorthin. An das Klauen von rumliegender Kunst ist ohnehin nicht zu denken. Der Wind nahm weiter zu, sodass die Windräder unter dem düsteren Himmel fast durchdrehten. Eine Herde Kühe rannte auf uns zu, bremsten aber vor einem Wassergraben ab. Puh, das war knapp !
Sonntag, 7. Juli 2024
Das Wetter schien vielversprechend, wir wollten den vorgesehenen Emden-Tag einlegen. Genau genommen reichte uns dort an einem Sonntag der Besuch der Kunsthalle, eine Hinterlassenschaft des Verlegers und Publizisten Henri Nannen, nach dem heute noch das Museumsrestaurant Henri’s benannt ist. Es gibt ein Portrait-Gemälde, und nicht zuletzt dank der Stilistik des Malers Bernhard Heisig ähnelt es ziemlich dem vergleichbaren Portrait unseres früheren Bundeskanzlers (*1918 †2015, amt. 1968–1984). Die Radtour war wegen des stetigen Gegenwinds – zwar noch kein Sturm – ziemlich anstrengend. Das ostfriesische Radwegenetz ist gut. An allen Land- und Kreisstraßen sind Radwege vorhanden. Kanäle begleiteten uns in das Zentrum, soweit man die Lage der Kunsthalle dazu zählen kann, denn am Delft, dem Mittelpunkt, liegt sie nicht, und da waren wir auch nicht. Für 10 € Eintritt wurde genau die richtige Menge und Qualität an Kunst geboten. Die Architektur von 1986 hatte man immer mal leicht modernisiert und für ein Alter von fast 40 Jahren ging sie noch glatt durch. Anschließend kehrten wir auf der Außenterrasse des Henri’s ein. Zivile Preise, teilweise sogar gut lecker, wenn auch über die eine Hälfte der Lieferung eventuell der Mantel des Schweigens und des Vergessens … Tja, was soll man von Caesar’s Salad halten … konnte man sich ja denken. Emden als Stadterlebnis fiel diesmal leider aus. Wir verließen Emden westwärts, um endlos bis zum Knock zu gelangen. Das alte Knock wurde 1881 als Sieltor gebaut und 1969 durch ein moderneres 1 km entfernt ersetzt. Uns interessierte 3 km weiter an der Außen-Ems die Strandkneipe Strandlust, direkt am Schiffsanleger nach Helgoland. Die Gastronomie hatten wir 2010 entdeckt, und eine beschaulich-einsame Situation in Erinnerung. Dazu lasen wir im Netz hervorragende Kritiken. Nun aber war es voll, rummelig und etwas ungepflegt. Wir aßen unser Pflichtstück Käsekuchen und setzten die Tour fort. Nun wurde es spannend. Würden wir vor dem Regenschauer, angekündigt durch dunkle, schwere Wolken aus Richtung Niederlande, davonkommen ? Erst ging es gut. Wir hatten auch endlich einigermaßen Rückenwind. Doch 2 km vor Rysum holte uns der Schauer, der sich zum dauerhaften Landregen entwickelte, ein. Die Schuhe trieften vor Wasser und aus der Hose trat Schaum aus, Reste vom letzten Waschgang. Rysum hatte keine erhoffte überdachte Bushaltestelle zu bieten, die erste davon kam erst in Hamswehrum in den Blick, als es schon zu spät dafür war. Das gleichmäßige, nicht abgelenkte, schweigsame, ungestörte, ja geradezu meditative Fahren im Regen fing an, Spaß zu machen. Am Ende hatten wir über 50 km geschafft. Wirklich bedauernswert ist der Umstand, dass wir unterwegs nicht die Power / den Schneid aufgebracht hatten, das Regen-Erlebnis cool zu filmen.
Montag, 8. Juli 2024
Der Tag begann mit strahlend blauem Himmel. Weit ab vom Schuss, wo wir wohnen, kommt man erst gar nicht auf die Idee, sowas wie Brötchen und Zeitung haben zu wollen. Die aus Paderborn mitgebrachten Backwaren tun es auch, und das echte Radio bietet mit NDR 2 und NDR Info die nötigste Anbindung an das Zeitgeschehen. Nach den üblichen Morgenritualen starteten wir mit dem Fahrrad nach Greetsiel, unser 4. Besuch dort nach:
- 1 Woche November 1995 Altes Pastorat / Bredemeier am Leeger
- 2 Tage November 2005 Hotel Hohes Haus
- 3 Tage November 2010 Hotel Hohes Haus
Greetsiel hatte sich sichtbar weiterentwickelt in Richtung Over-Tourism. Vor 29 Jahren fanden wir 3 Restaurants, die nie gleichzeitig geöffnet hatten, einen Tante-Emma-Laden und viel melancholische Stille. Heute dagegen waren reale Kneipen- und Restaurant-Meilen vorhanden, alle mögliche Gelegenheiten, sich das Geld aus der Tasche ziehen zu lassen und überall viel Volk. Dagegen ist nichts einzuwenden, wir sind ja selbst Teilnehmer dieser Art von Tourismus, denn warum musste es unbedingt Greetsiel sein, statt zum Beispiel Buchholz in der Nordheide oder Geesthacht. Das Alte Pastorat gab es noch, sogar mit dem Namen Bredemeier an der Tür. Ein Hund schaute heraus. Am Hafen fanden wir eine Kneipe, die erst ab 12 Uhr öffnete und mit Windbeuteln warb, denen wir nicht widerstehen können. Wir vertrieben uns die Zeit mit einer Portion Kibbeling mit Remoulade, immerhin. Punkt zwölf saßen wir im Strandkorb unter einer Markise und bestellten Windbeutel, mehrere. Der Strandkorb unter der Markise war unbewusst vorausschauend gewählt, weil es beim letzten Bissen schon wieder regnete. Durch ein üppiges Trinkgeld hatten wir die stillschweigende Duldung erwirkt, noch länger ohne weiteren Verzehr sitzen bleiben zu dürfen. Der Regen dauerte noch eine Weile, und so freundeten wir uns mit Vatter, Mutter und Sohn vom Nebentisch an. Als die Sonne wieder rauskam, stand der Pilsumer Leuchtturm auf dem Programm. Am Deich entlang (seit 2018 hatten wir jeglichen Deichtouren wegen Ödnis eigentlich abgeschworen) fanden wir den Turm als einschlägiges Touristenziel vor, eigentlich wie erwartet. Seine Wirkung als magischer, stiller Geselle, der einen beobachtet, entfaltet er aus der Entfernung. In unmittelbarer Nähe entzaubert er sich. Nun fuhren wir weiter nach Pilsum City, um uns die ev.-ref. Kirche anzuschauen. Sie war geschlossen (Paderbörnsch : „hatte zu“), aber die Mutter nahm spontan Kontakt auf zu einem benachbarten Glaskünstler, der ihr sein Leid klagte über falsche Vorstellungen seiner Kundschaft zu Wert und Preisen. Bis zum frühen Abend konnten wir häusliche Tätigkeiten ausüben, unterbrochen nur von einem Einkaufsbummel mit Höhepunkt „Buchhandlung Seitenweise“ (Kauf von 2 Büchern) in Pewsum*, dann ging es mit dem Fahrrad erneut auf Tour: zum 8 km entfernten sog. „Trockenstrand“. Dort angekommen, wurde es kalt, grau und windig, und über der jenseits der Außen-Ems liegenden Provincie Groningen formierte sich ein schöner Schauer. Wir verzichteten auf ein Kiosk-Bier, verzehrten auf der Deichkrone sitzend unser mitgebrachtes Käsebutterbrot (natürlich ohne Butter, auch nicht vegane) und radelten wieder heim. Eine dritte Radtour, nochmal zum Pilsumer Leuchtturm, um den heute tatsächlich stattfindenden Sonnenuntergang zu erleben, unterblieb. Leider. Wir hatten unsere Gründe.
*Pewsum : Das wird tatsächlich wie Pehfsumm ausgesprochen, was uns vorher nicht klar war. Denkbar gewesen wäre auch ein stimmloses W wie bei slawischen Ortsnamen, z.B. Ratenow oder eine englische Version Pju-sam …


Zum Vergleich : bitte den Schieberegler hin und her machen …
Dienstag, 9. Juli 2024
Der Norderney-Tag. Um wenigstens an einem Tag in diesem Jahr das Meer zu erleben, sollte es aus pragmatischen Gründen Norderney sein. Eigentlich lieber Juist, weil dort der Hund verfroren ist. Aber das Juist-Schiff fährt um 12 Uhr hin, Dauer 1 Stunde, und um 14 Uhr zurück. Tja. Wir parkten in Norddeich am hintersten Ende des hintersten Parkplatzes und brauchten bis zum Anleger eine halbe Stunde zu Fuß. „Aber es gibt doch einen Shuttle-Bus.“ „Ja.“ Für die Fahrkarte am Automat gingen ca. 20 Sekunden zuviel drauf, sodass das Schiff vor unseren Augen die Klappe zumachte und uns nicht mehr drauf ließ. Eine Stunde reglos warten. Erst waren wir die Einzigen. Zum Schluss die ersten von mehreren Hundert. An Bord begaben wir uns auf Deck und beobachteten Leute, zum Beispiel einen offenkundigen Geheimagenten mit kantig-finsterer Visage in einem schwarzen Anzug, der reglos dastand. Seine rechte Hand war künstlich und hing passiv aus der Anzugjacke, wohl eine tragische Verletzung bei einem Schusswechsel. Unheimlich, in welche Nachbarschaft man auf einem Norderney-Ausflug geraten kann. Auf der Insel wanderten wir nach dem Aussteigen links rum : Südstrand, Weststrand, City. Das war irgendwie nicht unsere Welt. Als Pflichtprogrammpunkt kauften wir bei Gosch zwei Fischbrötchen und begaben uns zum Nordstrand, der dort nur wenige Abgangsmöglichkeiten von der Promenade zum Sandstrand zu bieten hatte. Nach dem Auspacken des Fischbrötchens wurde uns dies sofort von einer Möwe entrissen und von ihr und ihren Kumpels aufgefressen. Schade. Später ging es hinter dem Wasserturm durch den Park mit der Mühle und öden Bezirken Richtung Kurplatz. Uns fielen die Demütigungen, Züchtigungen und Schrecken unserer Kinderkuraufenthalte in Norderney 1958 und 1961, welche bleibende psychische Schäden hinterlassen hatten, wieder detailgetreu ein. Das „Rotes-Kreuz-Heim Haus Warburg“ war seit langem abgerissen, das Schicksal von Schwester Anna und weiterer Schreckgestalten, deren strenge Mienen sich bis heute eingebrannt haben, verläuft sich im Ungewissen. Die Heimleiterin Schwester Christa soll 1977 ermordet worden sein. Nach dieser Zeitreise steuerten wir zielstrebig das Konversationshaus an, dort erfolgte der erste Höhepunkt des Ausflugs: Mit nicht erwarteter Freundlichkeit wurde uns ein Stück Kirschkuchen serviert, und wir durften ungehetzt so lange verweilen, wie wir mochten. Auf der Konzertbühne nebenan versuchte die vertraglich verpflichtete 15-Uhr-Animateurin, das nicht vorhandene Publikum aufzumuntern. Wir begaben uns, den tollen EDEKA-Laden leider links liegen lassend, zum Hafen, wo wir diesmal keine ganze Stunde in der Schlange stehen musssten, sondern nur ereignislose 45 Minuten. Sollen wir jemals einen kompletten Urlaub in Norderney verbringen, werden wir diesen ausschließlich am Südstrand, am Hafen und am Kurplatz verbringen – vielleicht gehen wir einmal am Tag oder besser am Abend zum Weststrand, um sehnsüchtig nach Juist rüberzuschauen. Doch dann. In der halbprächtigen Stadt Norden, Kreis Aurich, kam es zu einem unerwarteten touristischen Rahmenprogramm: Wir suchten eine 50KW-Ladesäule auf und hatten 45 Minuten Zeit für spontane Unternehmungen. Da fanden wir gleich um die Ecke, noch vor dem rasch einsetzenden Schwung, Platz im einladend-gefälligen Außenbereich des Restaurants Minna an der Klosterstraße. Zunächst wollten wir nur etwas trinken. Doch als wir auf der Speisekarte den obendrein preisgünstigen Seegras-Reibekuchen mit Mozzarella entdeckten (alles unter 28 € ist preisgünstig), gab es kein Halten mehr. Der Höhepunkt des Urlaubs – das Gute zum Schluss !
Mittwoch, 10. Juli 2024
Frühes Aufstehen und Einpacken. Wir sprachen noch eine Weile mit Rainer Tjaden über regionale und lokale Themen und reisten dann langsam, stromsparend und ohne jegliche Vorkommnisse nach Paderborn.