Dass Binnenschiffahrt nicht nur knallhartes Business ist, sondern auch hoch-emotional ist, ja geradezu epische Merkmale aufweisen kann, demonstriert dieser niederländische Container Frachter mit seiner Weihnachtsgirlande am vorderen Kranausleger.
10. Dezember 2024
Wir brauchten mal was Schönes vor Weihnachten. Weihnachtsmärkte mussten dabei nicht streng vermieden werden, ein unvermeidliches Durchstreifen auf dem Weg von A nach B reichte. Dieser Modus fand dann an allen besuchten Orten statt. Als Reisemittel wählten wir als Besitzer des Deutschland-Tickets bzw. als User der App EEZY NRW von mobil.nrw die Bahn. Unsere letzten Bahnfahrten verliefen glimpflich, aber auf dieser Reise lernten auch wir die Schrecken des Bahnfahrens richtig kennen. Also : man muss sich keine Uhrzeiten merken und sich auf keine Bahnsteig-Angaben verlassen. Einfach hingehen und Augen und Ohren offen halten. Irgendwie bekommt man (fast) immer mit, ob, wie, wann und wo es weitergeht.
1.
Dortmund. Ziel war das Museum für Kunst und Kultur (MKK). Städtisch geführt, Eintritt frei. Im Prospektständer fanden wir die drei Werbepostkarten, die wir vor Jahren mal für das MKK designed hatten. Wir sprachen die Empfangs-Scheffin auf Waltraud an, und tatsächlich kannte sie Waltraud. Das war ein Pluspunkt! Oben fotografierten wir auf Vorrat ein paar mittelalterlich-fromme Gemälde, Jesus und Maria können nie schaden. Atmosphäre, Flair, Ambiente, schöne Architektur, Inspiration – da sucht man allerdings lange in dem ehemaligen Sparkassen-Gebäude. Ausgewählt hatten wir das MKK wegen der in KulturWest beworbenen Foto-Ausstellung : Jörg Winde In Räumen. Später, beim Durchstreifen der City verfehlten wir den Hansaplatz (Kann man so doof sein ?) und damit das Epizentrum des Weihnachtsmarktes mit dem „größten Weihnachtsbaum der Welt“ inkl. trötendem Engel auf der Spitze. Bevor wir durchgefroren weiterreisten, gönnten wir uns auf Empfehlung der netten MKK-Damen einen Kaffee bei Flayva Coffee. Der Reiseabschnitt Dortmund bekommt 3 von fünf Sternen.
2.
Mit der S-Bahn, Umstieg in Essen-Steele, ging es weiter nach Wuppertal. Die Bahnstrecke Steele-Neviges–Vohwinkel war uns bisher nicht bekannt. Wir staunten, mitten in NRW durch eine vergleichsweise alpine Landschaft zu fahren. In Neviges ließ sich von Weitem ein Blick auf die Wallfahrts-Kirche werfen, in den 1960er Jahren als Beton-Verhau vom großen Gottfried Böhm entworfen. Hier betreiben 4 französische Abbés die Wallfahrt. Abbé Thomas hat schon mal bei uns daheim am Schreibtisch gessenen, und so schließt sich der Kreis. Irgendwann kamen wir in Wuppertal an und gerieten natürlich als erstes auf den Weihnachtsmarkt. Der Anblick der lange nicht gesehenen Schwebebahn haute uns um. Es gibt sie wirklich ! Das infragekommende Museum war natürlich das Von der Heydt mit seiner aktuellen Ausstellung Lucio Fontana – der Künstler, der als erster Löcher und Schlitze in seine Kunstwerke stach. Aber auch die hauseigene Sammlung war durchaus sehenswert und das Personal sehr freundlich. Das Museum ist seit über hundert Jahren im ehemaligen Elberfelder Rathaus untergebracht und wirkt auch ohne dieses (eben recherchierte) Hintergrundwissen wie ein altes Stadtpalais. Architektonisch auffällig ist das Treppenhaus mit einer langen, steilen Treppe. Im größten Saal fiel uns der Fußboden auf, und wir fragten, ob geplant sei, den mal auszutauschen … „Oh nein, bei sowas reden so viele Leute mit, das wird nicht geschehen.“ Die Fußböden im Marta Herford oder im Kolumba Köln gefallen uns fast noch besser. 12 € Eintritt entsprachen ungefähr den Erwartungen. Anschließend legten wir noch eine Rast im Museumscafé Muluru ein. Unser Stammplatz (wir waren 2007 zu einer Renoire Ausstellung schon mal hier) war leider besetzt.
3.
Als wir aus dem Von der Heydt kamen, war es vollständig dunkel. Zeitlich hatten wir wieder aufgeholt und konnten pünktlich (abzüglich Zug-Verspätung) über Düsseldorf nach Duisburg weiterreisen. Dort begaben wir uns sofort auf die lokale Weiterfahrt zum Hotel Rheingarten in Duisburg Homberg auf der anderen Rheinseite mit Blick auf den Rhein-Abschnitt mit der Ruhr-Mündung (Bouche de la Rour).
Der an dieser Stelle fällige Abschnitt, wie es weiterging, wurde in einen anderen Blog-Artikel verlegt und ist zugleich thematischer Gegenstand unserer diesjährigen Weihnachtskarte. Wir bitten um Verständnis.
Nach Ankunft und den üblichen Verrichtungen im renovierten Zimmer (leider nur im zweiten statt im sechsten Stock, leider kein Eck-Zimmer, alles schon gehabt) nahmen wir das Abendessen in unserem Stammlokal ein. Eigentlich mögen wir es nicht, Stammlokale zu haben und Auswärts-Erlebnisse zu wiederholen. Es wird nie so schön wie beim ersten mal. In Homberg ist allerdings insgesamt nicht viel zu holen, und das original-italienisch geführte La Vespa völlig ok. Lecker, preiswert, nicht aufdringlicher Service, Gruß aus der Küche, (unnötige) Stoffservietten und on Top ein Abschieds-Drink. Am nächsten Morgen wachten wir früh auf, um noch in der Dunkelheit (überwiegend niederländische) Schiffe auf dem Rhein zu bestaunen.
Bildergalerie Dortmund – Wuppertal – Duisburg
4.
Duisburg. Die rechtsrheinische Duisburger City besteht aus der breiten, teilweise eleganten und boulevardesken Königstraße und ein paar Verästelungen. Der hier verteilte Weihnachtsmarkt war unspektakulär, aber einigermaßen hochwertig bestückt. Wir kamen mit einem Verkäufer ins Gespräch, der uns als Paderborner identifizierte und mit „Willkommen im Ruhrgebiet“ begrüßte. Wir hatten einzuwenden, dass nach unserem Gefühl Duisburg zu einer Hälfte zum Ruhrgebiet gehört, mit einer weiteren Hälfte zum Rheinland und mit einer dritten Hälfte zum Niederrhein. Er widersprach nicht und preise die Vorzüger seiner Macarons an. Die sahen so verlockend aus, dass wir 3 Stück zu je 2,20 € kauften : Salty Caramel, Cherry Black und Pistache. Gegessen wurden die Macarons erst am Abend daheim, und siehe da : Es waren die vorläufig letzten ihrer Art. Aber das Kauferlebnis war toll.
Dann reisten wir (natürlich mit gehörigen Verspätungen) ohne umzusteigen nach Neuss, dem dritten Museumsziel der Tour. Schon seit Jahren träumen wir davon, das (städtische) Clemens Sels-Museum kennenzulernen. Es war lange Zeit wegen Renovierung geschlossen. Wenn ein Geschäft renoviert wird, dauert das 4 bis 8 Wochen. Bei einem (städtischen) Museum demnach 4 Jahre. Vielleicht lag es daran, dass wir durchgefroren (3 bis 4°) bei windig-grauem Wetter vom Bahnhof durch die Haupt-Fußgängerzone Krefelder Straße liefen, aber Neuss wirkte etwas derrangiert. Rund um das besuchens- und sehenswerte St.-Qurinius-Münster von 1220 fand der Weihnachtsmarkt statt. Unser Hunger auf eine Bratwurst wurde ausgebremst, weil an den 2 vorhandenen Ständen nur 1/2-Meter Würste verkauft wurden. Dann eben nicht.
5.
Im Clemens Sels-Museum, einer eckigen und innen kubistischen Beton-Burg von 1975 (wirkt eher wie späte 1960er) waren wir nicht die einzigen Besucher, eine kleine Gruppe ließ sich führen. Die Sonderausstellung, welche uns, wiederum nach einem Tipp in KulturWest, angelockt hatte, zeigte unter dem Titel Foto – Kunst – Foto Fotografien von damals bis heute. „On display“ befanden sich überwiegend kleine, undeutliche, alte Originalabzüge von berühmten Fotoschaffenden des 19./20. Jahrhunderts, die, vermutlich aus konservatorischen Gründen, schlecht ausgeleuchtet waren. Beeindruckend : In einem Raum ratterte ein altertümliches Klimagerät lautstark seine montone Klage über die desolate Lage. Das alleinige Vorhandensein solcher Klimageräte zeigt, wie es wirklich steht. Nun war es Zeit für Hoffnungen auf ein nettes Café mit halbcooler Einrichtung und leichtfüßigem Jazz. Doch ein solches – falls es überhaupt existierte – lag irgendwie nicht auf unserem Weg zum Bahnhof inkl. Abstecher rund um St. Quirinius – eine Einkehr unterblieb. Kurz aufgeschaut : St. Marien am Bahnhof erinnert mit seinen ungewöhnlichen Proportionen und riesigen Fenstern baulich an Kirchen in England.
Trotz allem glauben wir unverbrüchlich fest an Neuss. Eine kleine, prosperierende, moderne, geschichtsträchtige, idyllische und liebenswerte Großstadt, ein Geheimtipp im Hinterland von Düsseldorf. Beim nächsten Besuch wird alles besser.
Bildergalerie Clemens Sels Museum Neuss
Der besondere Fund
Normalerweise unnötig, aber angesichts der realen Gefahr, nicht zu wissen, ob, wann und wo man bei der Heimreise mit der Bahn im Abseits strandet, war es eine Überlegung wert, prophylaktisch die Toilette im Keller des Museums aufzusuchen. Und da tat sich ein besonderer Fund auf, nämlich das sehr selten gewordene Exemplar eines sogenannten Tiefspülers. Ja, richtig gelesen. Bequeme 30 cm Sitzhöhe, mit einem integrierten, Tisch-artigen keramischen Zwischenniveau zur geruhsamen Begutachtung des Ergebnisses. Liebes Clemens-Sels-Museum, bei der nächsten Renovierungs- oder Umbau-Welle darf dieses schöne Stück keinesfalls mit dem Bauschutt entsorgt werden, sondern sollte den Museumskollegen überstellt werden. Hier eine Vorschlagsliste:
- Die volkskundliche Abteilung des LVR-Museums in Kommern
- Das Hygienemuseum Dreseden
- Das Design Museum auf Zollverein Essen (vergibt den Red Dot Award)
Schönes auf der Rückreise. Großartig und hervorzuheben war die (verspätete, mit einem anderen Zug von einem anderen Gleis startende) Bahnfahrt rüber auf die andere Rheinseite nach Düsseldorf. Die Strecke verläuft nicht geradlinig, sondern in einem weiten Bogen um ein nicht enden wollendes sprödes bzw. struppiges Industrie- und Gewerbe-Panorama. Wir filmten einiges davon durch das dreckige Fenster des fahrenden Zuges, mussten aber später feststellen, dass das Handy fast nichts aufgenommen hatte.
Mit reichlich Verspätung ging es irgendwie über Hamm wieder nach Hause. Und wie immer, waren auf der Rückfahrt überwiegend reizende Leute an Bord. Welche, die sich nur normal daneben benahmen, aber auch solche, die von der Bundespolizei aus dem Zug geholt werden mussten. So weit, so normal.
Während der gesamten 2-tägigen Tour stieg das Thermometer nicht über 4 Grad. Auf Bahnsteigen zog mächtig der Wind. Da kommt man insgesamt mit dem Schön-Reden und Schön-Finden nicht richtig hinterher. Mental gestärkt, vergeben wir trotz allem als Gesamtnote für die Dezember 2024 Museums-Tour West : 4 Sterne !