Großenbrode – Great Brody
2. Adventssonntag, 5. Dezember 2021
Den 500. Jahrestag der Reformation verbrachten wir 2017 würdig und anlassgemäß im protestantischen Norden, in Großenbrode, Kreis Ostholstein, südwestlich der Insel Fehmarn. Hier wollten wir nochmal. Zuerst im September 2020, wg Corona verschoben auf März 2021, wg Corona verschoben auf Dezember 2021. Die tatsächliche Realisierung war ein Zitterspiel, doch nun sind wir hier. Abfahrt 9.00 Uhr. Ab hinter Hannover wurde das Wetter usselig. Schneeregen und Nebel, aber wir kamen problemlos durch und um 14.45 Uhr an. Kalt und „stürmisch“, wir wollten nur noch „drinne“ sitzen. Die Mutter brachte mit tapferer Haltung noch einen Besuch bei Puck, der Bäckerei zustande („…and carry on“).
Aus dem Fenster der schönen Wohnung staunten wir über einige Wind- bzw. Kitesurfer, die mit kompakten Geräten (kleines Segel, Foil Set zur Stabilisierung unter dem Brett) oder traditionellen Kites unbeeindruckt der, oder gerade wegen der harten Bedingungen – 3 bis 4 Grad Temperatur, Windgeschwindigkeiten von 6 bis 7 Beaufort – auf der offenen Ostsee oder in der Bucht hinter der Mole versuchten, von der Oberfläche abzuheben. Brrrh. Sieben Bft. bezeichnet man noch nicht als Sturm, aber man muss es nicht haben.
So verging der Nachmittag, der Puck-Kuchen war ok (Bäckerei-Platzhirsch PUCK), und ab 16.15. Uhr war es restlost dunkel. Wg „Battery low“ lagen heute keine Fotos drin. Das schöne Café unten im Haus, wo wir 2017 einige Male eingekehrt waren, ist inzwischen zu einer niederschwelligen Asia-Pommesbude mit Bowles-Gerichten geworden. Wir versuchten, die unterwegs gekaufte FAZ am Sonntag zu bewältigen, bevor Montag die Lübecker Narichten auf den Tisch kamen.
Blicke aus dem Fenster
Montag 6. + Dienstag 7. Dezember 2021
Das Wetter gab keinen Anlass, das Haus zu verlassen. Selbst härtest gesottene Windsurfer ließen sich nicht blicken. Wir drehten eine Runde durch den – nennen wir es mal „Kurbezirk“ – denn mitten drin steht ein Säulen-verzierter Palast namens „Kurmittelhaus“. Leider war kein Chip in der Kamera, und so wiederholten wir die Runde unter gleichen Bedingungen am Dienstag. Der angepeilte Besuch in Burg / Fehmarn ließ sich problemlos verschieben.
Der Kurbezirk
Großenbrode teilen wir in folgende Bestandteile auf:
- Der alte Ortskern, entlang der Nordlandstraße südlich der Auffahrt zur B207. Nicht sehr dicht gebaut, aber mit einer alten Kirche nebst Bretter-verkleidetem Turm, wie man ihn im Norden öfter antrifft. Alles hier wirkt wie ein unbdeutendes Dorf, das man unaufmerksam durchfährt und nicht gesehen haben muss, auch nicht bei bestem Hochsommer-Wetter.
- Eine Siedlung alten Typs mit 1950er-Jahre Häusern im Hundehütten-Stil
- Zwei Siedlungsgebiete neueren Typs, die wir nicht beurteilen möchten
- Ein ca. 7 ha großer Campingplatz, der dicht an den Kurbezirk heranreicht und diesen möglicherweise an der Expansion hindert
- Ein kleines maritimes Gewerbegebiet am Rande der Bucht mit Segelhafen
- Der Kurbezirk, um den es uns hier eigentlich geht
Großenbrode hat es nicht hinbekommen, diesem Ortteil auch nur den Hauch von Attraktivität zu verpassen. Er wirkt außergewöhnlich zerfasert und verhunzt. Bei der Recherche zu unserem 2017-Aufenthalt war uns zunächst ein Baukomplex von 10 großen kompakten Appartmenthäusern aufgefallen, deren Wohnungen einigermaßen passabel wirkten. Bei näherem Hinschauen merkt man dann, dass es rund um dieses Gebiet keinerlei öffentliches Leben gibt – keine Gastronomie, kein Gewerbe, keine Möglichkeit, zu flanieren. Wir wählten damals etwas anderes. Der Kurbezirkt erstreckt sich südlich des Campingplatzes entlang des Strandes von Nordost nach Südwest. Die allermeisten Bauten stammen wohl aus den 1970er bis 1980er-Jahren, plus minus. Trotz feststellbarer Renovierungen sieht man das denen auch an.
Es gibt Versuche mit sog. „Bäder-Architektur“, die hier aber nicht hingehört. Allem Bauen sieht man an, dass es keine verbindende Planung gibt. Das einzige erkennbare Prinzip ist wohl der unbedeingte Wunsch, Durchgangsverkehr zu verhindern, denn die Zufahrtswege und Straßen laufen alle auf verwinkelte, rückwärtige Parkplätze zu.
2017 bekamen wir in einem Artikel der Lokalpresse mit, dass man unzufrieden sei und Großenbrode touristisch modernisieren müsse. Nun, vier Jahre später, sehen wir das Ergebnis. Wie an vielen Küstenorten mit so einer Aufgabenstellung, hat man für sicher viel Geld die Strandpromenade ausgebaut: Breite Bahn, moderne Beleuchtung, Strandmöbel. In der Mitte bei der obligatorischen Seebrücke wurde die Promenade zu einem großen zentralen und abgestuften Platz erweitert.
Was man leider nicht angefasst und verändert hat: den zentralen Platz mit Geschäften, der direkt an den neuen Promenadenplatz angrenzt. Platz mit Geschäften – das hört sich erst mal gut an ? Leider nein. Die Optik ist völlig veraltet, zu klein und barackig mit Regen-Arkaden. Erinnert an eine Western Saloon Kulisse. Tapfer hält sich halbtags die Bäckerei Puck.
Doch schaut selbst.
Video der Brandung in Großenbrode am 7. Dezember 2021 vor unserem Fenster
Mittwoch, 8. Dezember 2021 · Als Scholz Kanzler wurde
Wir sind nicht viel weiter gekommen. Ununterbrochen stürmt es vom Südost mit 6 Bft. platt vor unsere Fensterscheibe. Ein sehr stabiles Fenster aus Aluminium mit intakten Dichtungen, und doch spürt man unter diesen Bedingungen einen kalten Hauch von draußen. Das Ereignis des Morgens war der gemeinsame Puck-Gang zur Besorgung von „Weltmeister“-Brötchen (ein im ganzen Norden gängiger Brötchen-Typ) und den Lübecker Nachrichten in Papierform (das kleine Format).
Am Nachmittag entschieden wir sehr spontan, wo es hin gehen soll. Unser erster Ausflug seit Ankunft am Sonntag. Die Wahl fiel auf Heiligenhafen, alter Backstein-Ortskern am Hafen mit gebirgigen Gassen, Speichern, Maritimik, Läden und Gastronomie. Die gigantischen Bausünden aus den 1960er-bis 1980er Jahren beachteten wir diesmal nicht. Intensive Erkundungen sind eher etwas für das Fahrrad im Sommer. Sofort kehrten wir ein in der Fischhalle, ein aufgeräumtes SB-Restaurant. Maske, strenge Impf- und Ausweiskontrolle – kein Wunder : am Nebentisch speisten bewaffnete Beamte eines vor der Tür am Kai angelegten Polizeiboots. Kapitän Ehlers konnten wir nicht entdecken.
Der Bummel durch ein paar Klamottengeschäfte erbrachte eine Mütze für die Mutter. Die Geschäfte wirkten alle etwas uninspiriert und in die Jahre gekommen. Das angepeilte Outdoor-Geschäft existiert hier nicht mehr, die ev. luth. Kirche war erwartungsgemäß zu. Am Abend tauschten wir noch einmal eine Sequenz im Wellen-Video aus gegen frisches Material von heute morgen mit rosa Schimmer und höheren Wellen.
Dann, am späten Abend (also so gegen 18.30 Uhr) brachen wir noch mal auf. Der Wind hatte sich auf gute 5 Bft. Südost abgeschwächt. Trotzdem eine Überwindung, da raus zu gehen. Die neue, luxuriöse Strandpromenade mit ihrem breiten Weg, den hellen LED-Leuchten und der gelungenen Bepflanzung entlang, bis zu dem überwältigend groß dimensionierten Tummelplatz, dessen Bau sehr viel der eingesammelten Kurtaxe verschlungen haben muss. Hier standen ein beleuchteter Weihnachtsbaum und zwei geschlossene Buden. Oder auch nur eine, wir haben nicht so genau gezählt. Durch die 50 m lange Fußgängerzone (alle Läden waren in der Winterpause oder hatten endgültig aufgegeben, außer Puck der Bäcker) gelangten wir in den rückwärtigen Erschließungsteil und siehe da. Eine weitere Bude, einsam und verlassen, aber das Mädel, das lt. Selbstauskunft seit 13 Uhr auf Kunden wartete, war bereit, der Mutter für 3,50 € einen Glühwein zu verkaufen. Wir waren um ca. 18.45 Uhr die einzigen Besucher dieses (nennen wir es) „Weihnachtsmarktes“. Es existieren keine Fotos.
Heiligenhafen
Donnerstag, 9. Dezember 2021
Heute war ein Action-reicher Tag. Um 8.30 gingen wir über die Strandpromenade bis zu Bäcker Puck und bekamen haarscharf gerade noch mit, wie die Weihnachtsbeleuchtung in der menschenleeren „Fußgängerzone“ für den Tagesbetrieb ausgeschaltet wurde. Von Puck nahmen wir eine der beiden letzten vorhandenen Tageszeitungen mit. Das war knapp.
Gegen Mittag dann eine 4,5 Km Wanderung hintenrum durch eine Siedlung zu Nahkauf, wo wir etwas einkauften. Nach dem späten Mittagessen wurde das Haus nicht mehr verlassen, um unsere Kräfte für Freitag zu schonen.
Freitag, 10. Dezember 2021
Nun endlich der Burg-auf-Fehmarn-Tag. Um 11.30 Uhr parkten wir „wie immer“ (also bereits zum 2. mal) an der katholischen Kirche. Erste Station: die ev. luth. Kirche St. Nicolai. Dort wollten wir mal wieder einen Blick auf die Gemälde der Ahnengalerie früherer Pastöre werfen. Ausdrucksvolle Portraits, von Halskrause bis Beffchen. Auch sehr schön die berühmte Schlauch-Orgel (es führt ein Schlauch über den halben Kirchenboden vom Spieltisch zum Gehäuse). St. Nicolai wirkt außen größer als innen. Meist ist es umgekehrt. Dann absolvierten wir die geplante Shoppingtour durch die zahlreichen Deko-, Tinnef-, Gedöns- und Klimbim-Geschäfte, welchen den durch die Hauptstraße trampelnden Touristen das Geld aus der Tasche ziehen möchten, auf der Suche nach. Und immer wieder Imfpass, Personalausweis, Maske, Handschuhe, Brille, Mütze, Nase putzen. Das angepeilte Café in einer Seitengasse hatte man ohne unsere Zustimmung in einen Teefachhandel ohne Gastronomie verwandelt. Auch Klamottenläden standen auf unserer Wunschliste, aber der Durchbruch kam erst, als wir nach längerer Suche den Outdoor-Spezialisten OLE aufsuchten, übrigens im gleichen Gebäude wie das deutsche Info-Büro der Femern A/S, welche hier seit 2013 unermüdlich über den im Bau befindlichen Tunnel informiert. So schön Burg ist, uns reichte es und wir gönnten uns ein besinnlich-adventliches Tanken bei unserer Lieblings-Tankkette „bft“ bevor es auf schmalen Feldwegen weiterging nach Lemkenhafen. Dort spontane Einkehr in einer Kneipe vom Typ „Strandcafé“, wobei der Strand aus einem schnöden, irgendwie gearteten Ufer bestand. Käsekuchen, Americano und grüner Tee. Es dämmerte. Später daheim stellten wir besorgt fest, dass im Restaurant NORBU im Erdgeschoss unter uns auch zur allerbesten Essenszeit – Freitag, 18.10 Uhr – so gut wie niemand saß. Lag es an den überteuerten Getränkepreisen ?
- Köpi 0,3l 3,80 €
- Weißwein, Italien, Geschmacksrichtung Lakritz, 0,1l 8,00 €
Burg, Lemkenhafen
Samstag, 11. Dezember 2021
Kellenhusen an der Ostsee. Nicht sehr bekannt, aber hat man vielleicht schon mal gehört. So ähnlich wie die anderen Orte an der Schleswig-Holsteinischen Seite der Lübecker Bucht: Niendorf, Timmerdorfer Strand, Scharbeutz, Neustadt, Pelzerhaken, Grömitz, Dahme. Dorthin ging es, wenn Leute in den 1950er- bis 80er Jahren sagten: Wir fahren an die Ostsee. Zwar gab und gibt es auch weiter nördlich noch weitere Urlaubsziele, aber schon nicht mehr mit dem Bekanntheitsgrad: Heiligenhafen (doch, der gehörte noch dazu), Damp (rückbenannt von dem albern-verstiegenen „Damp 2000“), Weißenhäuser Strand, Hohwachter Bucht, Laboe, Ende. Kellenhusen liegt ca. 30 Autokilometer von hier, und weil wir eine bestimmte Webcam-Szene kennen, die es live zu erkunden galt, sollte es heute dort hin gehen. Der eigentliche Aufenthalt inklusive ausgedehntem Strandspaziergang, Betreten der über 300m langen Seebrücke und Erkundung des Ortszentrums dauerte eine knappe Stunde. Wir können nun ernsthaft behaupten, dass wir ausgewiese Kellenhusen-Kenner sind, wirklich. Es gibt dort viele kleinere Läden und Restaurants, durchaus auch an der Strandpromenade, aber geöffnet hatte ein Restaurant, ein Geschäft und die örtliche Filiale von Puck. Normales Leben zeigte nur die Neubau-Nahkauf-Filiale (gehört irgendwie zu REWE) am Rande Kellenhusens, die es zugegebenermaßen dort nun gibt. Ein architektonisches Doppel-Kleinod sollte erwähnt werden: An der Strandpromenade flankieren zwei kleine Eckbauten aus den 1930er- oder 1950er-Jahren den Übergang von der City zur Seebrücke. Die Entstehungszeit ist trotz Teil-Modernisierungen noch gut ablesbar. Die Häuschen, von denen das nördlichere noch etwas ursprünglicher erhalten ist, gehören unbedingt unter Denkmalschutz.
Durchgefroren verzichteten wir auf weitere Ziele, als da wären Kloster Cismar (im Winter vermutlich tot), Neustadt, Hohwacht und zum letzten Mal Heiligenhafen. In Großenbrode parkten wir bei Jens und wanderten von dort zur Kirche und zurück. Am Abend – so ca. 16.30 Uhr – entdeckte die Mutter bei einem Rundgang in der Nähe des Seenotrettungskreuzers eine improvisierte temporäre Außengastronomie, bei der Glühwein und Grünkohl mit Schweinenacken angeboten wurde. Wir gingen noch mal hin, denn der Seenotrettungskreuzer, der die einzigen beoabchteten Schiffsbewegungen in dieser Woche ausgelöst hatte, lag in Sichtweite im hinteren Teil des Hafens. Wir orderten einen Glühwein und eine Bratwurst im Brötchen, und kamen kurz mit dem Eigentümer des Geländes ins Gespräch. Er hatte die Gastronomie übernommen, modernisiert und will März 2022 eröffnen.